2016-09-11-ungarn-01-kl„Offen sein“, unter diesem Motto stand in diesem Jahr der Europäische Dorferneuerungspreis, der alle zwei Jahre von der Europäischen ARGE für Landentwicklung und Dorferneuerung ausgelobt wird. Den spannenden Wettstreit der 24 teilnehmenden Dörfer aus elf Nationen entschied Anfang Juli Fließ aus Tirol für sich.

Aber auch im Bundesgolddorf Hoetmar hatte man allen Grund zum Jubeln: Gemeinsam Dobków (Polen), Hoonhorst (Niederlande), Kirchberg an der Pielach (Österreich), Klingenmünster (Rheinland-Pfalz), Markt Stadtlauringen (Bayern) und Naturpark Our (Luxemburg) wurde man wie das Siegerdorf Fließ für eine ganzheitliche, nachhaltige und mottogerechte Dorferneuerung von herausragender Qualität ausgezeichnet. „Wir haben quasi Gold auf Europaebene gewonnen“, sagte Josef Brand, Vorsitzender des Heimatvereins.
     Am vergangenen Freitag fand nun die Preisverleihung im ungarischen Tihany am Balaton (Plattensee) statt, die in ein mehrtägiges Programm mit Ausstellungen, Exkursionen und kulturellen Begegnungen eingebunden war. Auch aus Hoetmar machte sich eine siebenköpfige Delegation auf den Weg zum Balaton. Schon bei der Ankunft in Tihany hatten Josef und Albert Brand sowie Peter Recker ihren per Flugzeug angereisten Mitstreitern Brigitte und Ludger Kortenjann sowie Andrea und Stephan Ohlmeier eine Menge zu berichten. Kurz vor der österreichischen Grenze hatte sich in einer Baustelle ein Reifen ihres Wohnwagens aufgelöst, sodass die 2016-09-11-ungarn-02-klAutobahn kurzfristig gesperrt werden musste. „Nach einem Reifenwechsel schneller als bei Michael Schumacher, streikte plötzlich die Batterie“, so Peter Recker: „Dank Starthilfe der Polizei ging es aber schnell weiter.“
     Endlich in der 1400 Einwohner großen Gemeinde Tihany auf der gleichnamigen Halbinsel im Balaton angekommen, erlebten die Hoetmarer ein Programm, dass sie in dieser Form nicht erwartet hatten. Bereits am Donnerstagabend kamen die nahezu 1000 Teilnehmer an der Abtei von Tihany zusammen und stießen bei leckerem Wein miteinander an. Von der Abtei führte der Weg zum Hauptplatz der Gemeinde, wo ungarische Gruppen Folkloredarbietungen gaben. Gemeinsam wurde getanzt und in geselliger Atmosphäre fanden die Hoetmarer schnell neue Freunde. „Insbesondere mit unseren ungarischen Gastgebern sowie den Gewinnern aus Fließ in Tirol haben wir uns direkt gut verstanden und spontan das Hoetmarer Heimatlied angestimmt“, sagte Ludger Kortenjann.
     Einer der Höhepunkte war natürlich die Siegerehrung im Europäischen Dorferneuerungspreis, die in einer riesigen Halle direkt am Plattensee stattfand. Der Landeshauptmann von Niederösterreich – vergleichbar mit einem deutschen Ministerpräsidenten – und ARGE-Vorsitzende Dr. Erwin Pröll betonte, dass „das Bestreben, Dörfer zu erhalten und sie attraktiv als Lebensraum zu machen“ eine Herausforderung bleiben werde. Dorferneuerung sei eine regionalpolitische, aber auch eine ganz wesentliche europäische Aufgabe. Es gebe in den einzelnen Dörfern „unterschiedliche Problemfelder“, das Gemeinsame jedoch sei, dass „wo Menschen bereit sind Hand anzulegen und zu gestalten, dort ist eine unglaubliche Kraft vorhanden“, so Pröll. Europa sei von großen Herausforderungen begleitet, solange Menschen aber bereit seien, „selber vor Ort zu gestalten“, solange habe Europa auch Zukunft, so der Landeshauptmann.
     Nach der Siegerehrung, die von Folklore- und Musikdarbietungen bereichert wurde, präsentierten sich alle 24 Teilnehmer an Messeständen. Unter anderem gab es tschechisches Bier, deutsche Weine, Schweizer Schokolade und Käse oder polnische Spezialitäten zu probieren. Die Hoetmarer selbst machten Werbung für die Pferdestadt Warendorf und verteilten heimische Spirituosen. „Besonders gut hat mir das Miteinander aller Teilnehmer gefallen. Wir sind mit Menschen verschiedenster Nationalitäten ins Gespräch gekommen, haben uns über unserer Dörfer ausgetauscht und den europäischen Gedanken gelebt“, so Stephan Ohlmeier. Auch Jurymitglied Peter Schawerda, der die Hoetmarer beim Kommissionbesuch im Mai mächtig ins Schwitzen gebracht hatte, erkundigte sich neugierig nach den Hoetmarer Integrationskonzepten, die er gerne in seiner österreichischen Heimatgemeinde übernehmen möchte.
     Während der Feierlichkeiten gab es natürlich genügend Gelegenheit, das für Lavendel und Wein bekannte Tihany zu erkunden, die kulinarischen Spezialitäten der Region zu testen oder eine Schifffahrt auf dem Balaton zu unternehmen. Ein Highlight war der Auftritt der Husarenreiter am Abschlusstag. Zudem strahlte die Sonne während der Feierlichkeiten vom Himmel. „Wir haben den Besuch in Tihany nicht bereut und wurden nachhaltig beeindruckt“, waren sich alle sieben Hoetmarer einig. Beim gemeinsamen Grillen auf dem Campingplatz wurden deshalb bereits erste Pläne geschmiedet, in zwei Jahren zur Siegerehrung nach Fließ zu fahren.
Beurteilung Hoetmar (1:1 von der ARGE übernommen)
Hoetmar, Nordrhein-Westfalen, Deutschland, ist es gelungen, als Ortsteil einer zusammen­gelegten Kommune die verlorene Eigenständigkeit durch die Bildung einer starken und breit aufgestellten Dorfgemeinschaft auszugleichen und über ein beispielhaftes zivilgesellschaftliches Engagement aus eigener Kraft das Zusammenleben und die Lebensqualität des Ortes durch Bündelung aller Kräfte und Ressourcen selbst zu gestalten. Gesteuert und koordiniert werden die Projekte in einer gut vernetzten Dorfwerkstatt. Besonders bestechen die offene Schule und das darum gestaltete Umfeld als Drehscheibe für die Begegnung von allen gesellschaftlichen Gruppen. Die Vielzahl an Maßnahmen und das enorme ehrenamtliche Engagement führen zu einem hohen Maß an Solidarität, das in der Schaffung von vielen kleinen und größeren Hilfestellungen für MitbürgerInnen mündet. So etwa sind neben zahlreichen anderen Initiativen insbesondere der Bürgerbus zur Befriedigung von Mobilitätsbedürfnissen oder der Umgang mit AsylwerberInnen und deren Integration als beispielhaft und nachahmenswert zu nennen. 

Text u. Foto: Stephan Ohlmeier